Randbemerkungen

 

Kongressbesuche – lohnt sich das?!

 Als die weltweit bedeutendsten Fachtagungen unter Experten gelten die alle zwei Jahre stattfindenden Kongresse der US-amerikanischen Organisation „World Aquatic Babies & Children Network – WABC“ seit vielen Jahren.

Mit weiteren rund tausend Besuchern nahmen erstmals 1999 auch vier Kursleiter der Schwimmschule DELPHIN im französischen Toulouse an der Veranstaltung teil und kamen mit einer eindeutigen Standortbestimmung zurück:

. Was wir bis dahin in Sachen Baby- und Anfangsschwimmen entwickelten, konnte bereits damals jederzeit in der vordersten Linie bestehen. .

Sofort wurden die ersten Seminare der „DELPHIN-Akademie für Aquapädagogik“ gestartet. Toulouse hatte auch zur Folge, dass wir das schon weit fortgeschrittene erste Buch- und Filmprojekt forcierten und wenige Monate später abschließen konnten.

Buch und Film hatten wiederum die Einladung an Uwe Legahn zum nächsten Kongress 2001 in Buenos Aires zur Folge, wo der Vortrag über seine neu kreierte „Aquapädagogik“ vor rund 800 Teilnehmern zu einem großen Erfolg wurde. Zahlreiche direkte Kontakte zu Experten aus aller Welt erwiesen sich bis heute als ebenso wertvoll.

Beim zehnten WABC-Kongress in Brighton/England waren vom 7. bis 10. Oktober 2009 Bärbel Butzke, Maike Gröhler, Uwe Legahn und Christian Zwengel von der Schwimmschule Delphin dabei.

Als Referent konnte Uwe Legahn, unterstützt von einer durch Christian gekonnt gestalteten PowerPoint-Präsentation, in seinem Vortrag auch dem britischen ‚Publikum die Kernpunkte der Aquapädagogik vorstellen.

Schon lange erwarten wir von diesen und ähnlichen Tagungen keine großartigen Neuerungen mehr.

Vielmehr zählt meist die Erkenntnis, weiterhin vorn dabei zu sein, zu den wichtigsten Eindrücken.

Dennoch, die vielen kleinen, eher unbedeutenden Anregungen oder in Vergessenheit geratene Variationsmöglichkeiten, der Erfahrungsaustausch mit ebenso .engagierten Kollegen aus aller Welt und auch die gelegentlichen Streitgespräche über Inhalte und Methoden machen diese Treffen so wertvoll. Daneben freut man sich immer wieder über den offenen und ehrlichen Umgang miteinander, eben ganz anders als in unserem Land, wo der Münchener‘ seinen Kollegen aus Köln oder Hamburg als direkten Konkurrenten sieht und wo Verbände ebenso verbissen wie engstirnig ihre vermeintlichen Gewohnheitsrechte und Generalkompetenzen verteidigen.

Noch etwas mehr nahm Uwe Legahn mit nach Hause:

Zwei Kollegen aus England und Brasilien, die auch schon eigene Bücher veröffentlicht haben, wollen diese Kontakte – zusammen mit ihrer Fürsprache – einsetzen, um dem neuen Buch zur Aquapädagogik die dortigen Märkte zu erschließen. Dann ist im nächsten Frühsommer ein mehrtägiges Seminar in Portugal vereinbart und Brighton lieferte die Idee zu einem neuen spannenden Filmprojekt.

Daher ist kein Besuch einer Fachtagung „umsonst“, es lohnt sich immer!

 

 

Verschiedene Methoden

Das erste Probeschwimmen für „Fortgeschrittene“ im neuen Bad. 15 Kinder standen auf der Liste, 12 sind gekommen. Während sich die Kinder mit Hilfe ihrer Eltern für das Schwimmen vorbereiten, ziehen in Gedanken die vielen Bäder an mir vorüber, in denen ich bereits derartige Veranstaltungen gemacht habe. Wie viele das wohl waren? Schnell gebe ich das zählen der Orte auf; aber die verschiedenen Länder vielleicht?! Norwegen, Dänemark, Polen, Ungarn, Italien, Frankreich, Argentinien, Uruguay, USA und einige Einladungen stehen noch auf der Liste. Diese vielfachen Erfahrungen unter oft vollkommen ungewohnten, teilweise chaotischen Bedingungen und in der Regel nur mit Hilfe der Mimik und Gestik, ohne sprachliche Kenntnisse, müssen es wohl sein, die mir nicht mehr das berühmte Kribbeln im Bauch, das Lampenfieber oder gar Nervosität bereiten obwohl ich doch nach den Erlebnissen der letzten Tage allen Grund hätte, mindestens nervös zu sein. Der Unmut der bisherigen Vereins-Kunden war teilweise noch deutlich heftiger, als zu erwarten war. Wie weit ist die Grenze zwischen Routine und Abgestumpftheit noch entfernt?

Die Kinder sind fertig umgezogen und zeigen mir etwas verhalten ihren Mut beim Duschen.

Im Bad frage ich (man hat ja Erfahrung, ist vorsichtig und vorausschauend) erst alle Kinder gemeinsam und dann noch einm~1 einzeln nacheinander, wer vielleicht trotz der Schwimmabzeichen am Bauch entweder Schwimmflügel oder die TuS- üblichen Schwimmgürtel haben möchte. Schließlich hatten uns die Vereins-Kursleiter alle übereinstimmend erklärt, dass sie die Gürtel bevorzugen. Zwei Kinder lassen sich die Schwimmflügel geben und ein Junge möchte den Gürtel haben; bei allen anderen ernte ich heftigstes Kopfschütteln. – Ist ja auch klar, sind ja Fortgeschrittene mit Abzeichen -.

Einen Moment überlege ich, die Kinder einzeln nacheinander starten zu lassen. Es könnte ja sein, dass sich da jemand zuviel zutraut. Aber alle machen einen recht sicheren Eindruck und außerdem ist es ja nur die kurze 6-Meter-Querbahn. So stellen sich die Zwölf nebeneinander am Rand auf und springen auch auf mein nna, dann zeigt man maL.“ ohne zögern hinein.

Bevor ich den Gedanken „typische Brustschwimmanfänger“ weiter spinnen kann, sehe ich in der Mitte einen Jungen „in Richtung Wolken“ schwimmen; so wie alle, die unvorbereitet im Wasser Probleme haben, den Rettungsgriff in der Luft suchen und dabei mit dem Gesicht ins Wasser geraten und auch Wasser schlucken. Also hinein, noch zwei Schritte und schon habe ich den Kleinen im Arm, bringe ihn an den Rand zu allen anderen Kindern und sage ihm, dass er sich besser auch noch ein Paar Schwimmflügel holen soll, damit es gleich besser geht. Auf dem Weg dorthin begegnete er seiner Mutter, die nach der von ihr durch die Glastür beobachtete Rettungsaktion ihres Kindes durch die Umkleide bis zur Dusche stürmte und nun ihr gerettetes Kind in die Arme schloss. Bei so viel Dramatik mußte sich nun aus Sicht des Jungen das bislang auf Schreck und Enttäuschung begründete Schluchsen zu einem tränenreichen, lauten Weinen steigern. Die Mutter bedachte mich noch mit ein paar Bemerkungen zu meiner Unfähigkeit und meinem unverantwortlichen Leichtsinn, um dann ihr Kind nach einer 15-Sekunden-Schwimmstunde endgültig in Sicherheit zu bringen.

Bis zum nächsten Morgen hatte ich dann genug Gelegenheit, mich wahnsinnig über die eigene Dusseligkeit zu ärgern und mir heftige Vorwürfe zu machen. Denn hätte ich nicht auf die Erwachsenen gehört, sondern die Kinder wie bei allen ähnlichen Gelegenheiten im Ausland nach ihrer Bezeichnung für die dort gebräuchlichen Schwimmhilfen gefragt, hätte ich ihnen Schwimmflügel und „Päckchen“ angeboten und dieses Unglück wäre mit Sicherheit nicht passiert.

Bei der Mutter habe ich mich am nächsten Tag entschuldigt. Wir haben uns ausgesprochen und den Vorfall aus der Welt geräumt. Alle Kinder dürfen sich auf Wunsch Päckchen nehmen und ich n verschwende“ wertvolle Schwimmzeit, in dem die allererste Bahn in Reihe geschwommen wird. Nebenher ergab sich hier wieder einmal ein Beispiel für die alte Erkenntnis der Psychologen, dass die kleinen Missgeschicke des Lebens von den Kindern zumeist solange gut „verdaut“ werden, wie die großen „Vorbilder“ diese nicht ungewollt durch ihr anschließendes Verhalten zu einer echten Katastrophe dramatisieren.

Uwe Legahn

 

 Schwimmunterricht im Argentinien

 Buenos Aires, Argentinien im Oktober 2001. Im großen Saal des Kongresshotels hatte man mir als Referent meinen Platz in der ersten Reihe zwischen den Kollegen aus allen Erdteilen „verordnet“. Meinen Vortrag hatte ich beim Weltbabyschwimmkongress über unsere AquaPädagogik bereits am Tag zuvor gehalten. Es war ein großer Erfolg für unsere Arbeit, den man mir von allen Seiten bestätigte. Alle Experten waren sich einig, dass ich ihnen eine wirklich neue Perspektive, etwas Zukunftsträchtiges präsentierte.

Nach den gestrigen ersten internationalen Beiträgen stand nun die Vorstellung des nationalen Schwimmunterrichts aus einigen Provinzen des Riesenlandes auf dem Programm. Vorn auf dem Podium saßen 12 Frauen und ein Mann, die den über 800 Teilnehmern in Kurzform über ihren Unterricht berichten wollten. Von gespielter Lässigkeit über deutliche Anspannung bis hin zu „ich würde am liebsten im Boden versinken“ war alles auf den Gesichtern abzulesen. Besonders eine junge Frau, offensichtlich indianischer Abstammung, war dieses „in Luft auflösen Wollen“ immer deutlicher anzusehen, je näher sie ihrem Auftritt kam. Unwillkürlich musste ich an die „Völkerschauen“ bei Hagenbeck denken, von denen mir meine Großmutter so oft begeistert erzählte und ich mich danach immer fragte, was wohl diese „Naturmenschen“ von ihrer Zurschaustellung hielten. So war es wohl mehr als weise Voraussicht der Kongressveranstalter, dass sie diesen Referenten den Weg zum Rednerpult ersparten und sie von ihren sicheren Sitzplätzen sprechen ließen.

Um so beeindruckender war dann der Vortrag der jungen Indianerin, bei dem sie von Satz zu Satz immer mehr Sicherheit gewann. Am Ende hatte sie – sicherliph ungewollt – zumindest den Referenten aus allen reichen Ländern der Welt sehr überzeugend und nachhaltig vor Augen geführt, dass Glück und Wohlstand auf unserem Globus recht unterschiedlich empfunden werden:

Sie kam aus dem äußersten Norden Argentiniens, lebte in keiner Stadt, in keinem Dorf, sondern mit ihrem Freund auf einem alten Boot im Fluss, einem Nebenarm des Amazonas. Dort brachte sie den Kindern der umliegenden Dörfer das Schwimmen bei. Zur Unterrichtsvorbereitung gehörte zunächst die Fahrt vom Ankerplatz zur nahen Lagune. Dann wurden die Ruder kräftig und laut klatschend auf das flache Wasser geschlagen, um einerseits gefräßige Wasserbewohner wie Flußkrokodile und anderes Getier zu vertreiben und gleichzeitig den Start des Schwimmunterrichts anzukündigen. Daraufhin fand sich die Dorf jugend mit Hilfe kleiner Boote ein und es wurde ein ganz und gar unspektakulärer Unterricht durchgeführt. Dass ihr Freund dabei an Bord blieb und vorsichtshalber mit dem Gewehr im Arm „wache schob“ war nach ihrer Meinung ganz normal und eigentlich völlig überflüssig, denn in den sieben Jahren, in denen sie diesen Job schon machte, hatte es dort noch keine Krokodilattacken gegeben. Die äußeren Umstände waren eben nur etwas anders. Die „Kursgebühr“ brachten die Schüler übrigens von Stunde zu Stunde mit. Es wurde in Naturalien gezahlt. Ein Fisch, ein Stück Fleisch, ein halbes Huhn, Gemüse, Mais, Manioks, Geld gab es selten. Hier in der Metropole Buenos Aires war tosender Applaus ihr Lohn, den sie verschämt über sich ergehen ließ.

Von derart beeindruckenden Menschen mittels des heimischen Fernsehers berieselt zu werden, ist eine Sache. Einen solchen Vortrag Iife zu erleben, ist fraglos ungleich intensiver; das geht unter die Haut. Als mich dann später ein Dolmetscher händeringend, zögerlich, beinahe schon unterwürfig fragte, ob ich, der einzige Alernano, ein Foto mit ihr und ihren Kolleginnen erlauben würde und vielleicht sogar ein Autogramm … da war es an mir, mehr als beschämt zu sein.

Uwe Legahn

 

 Oktober 2002, Minessota USA

 „Papa, bleib doch bitte einen Tag länger und schau Dir morgen unser Training an. Ich hab dem Trainer schon gesagt, dass Du kommst. Er möchte unbedingt mit Dir sprechen!“ Wer kann da schon nein sagen. Außerdem wollte ich schon lange mal ein typisches Highshool- Training erleben. Schwimmschulen und Uni-Mannschaften kannte ich genug.

Also holte ich Jenny und zwei ihrer Freundinnen am nächsten Tag in der Schule in einem kleinen Ort westlich der Metropole Minneapolis-St.Paul ab und brachte sie ins 10 Meilen entfernte Schwimmbad.

Vor Trainingsbeginn war genug Zeit zum „klönen“ mit dem Trainer und seiner Assistentin, wobei sie sich vorwiegend für meine gute Bekanntschaft mit dem mehrfachen US-Olympiacoach Peter Daland interessierten, von der ihnen Jenny berichtet hatte.

Schnell begann das Training: Rund 60 bis 70 Mädchen auf sechs 25 Yards-Bahnen, links die älteren Sportschwimmerinnen, auf der rechten Seite die Jüngeren, die teilweise kaum dem Anfangsschwimmen entwachsen waren.

An der Stirnseite der Halle vor der Bahn 5 „trohnte“ der Trainer auf der Bank über seinen Schwimmerinnen und gleiches tat die Assistentin vor der Bahn zwei. Es wurde streng nach Plan geschwommen, das heißt, nach dem er den nächsten Punkt des Planes studiert und verinnerlicht hatte, prasselten seine Anweisungen zunächst auf die älteren Aktiven nieder, die dann nach seinem „rady,go!“ erneut starteten. Danach die etwas abgespeckte Variante seitens der Assistentin und nach deren „rady,go!“ setzten sich dann alle Jüngeren wieder in Bewegung.

Als sich dieses Aufgabenstakato mit der anschließenden Totalruhepause seitens des Trainerteams auch lange nach dem „Einschwimmen“ fortsetzte und zwischendurch auf der Bank absolut nichts passierte – keinerlei direkte Ansprache, keine Zeichen, kein Blickkontakt, keine Korrektur – fragte ich mich, ob ich wirklich in der Schwimmerhochburg USA war. Gerade die Kleinen hätten jede Menge persönlichen Zuspruch nötig und auch bei den Großen waren reihenweise gröbste Anfänger- und Flüchtigkeitsfehler zu sehen.

Die „Filmerlaubnis“ hatte ich vom Trainer erhalten. So konnte ich mich im Bad überall frei bewegen und neben dem Filmen meiner Tochter – die auf meine Fingerzeige gepolt war und daher ständig den Blickkontakt suchte – unauffällig die nötigen Tipps geben, um die in den vergangenen 14 Wochen eingeschlichenen Fehler zu korrigieren, was wie immer bestens funktionierte.

Während der nächsten Pause fragten die anderen Mädchen Jenny, was die Zeichen von „dem da oben“ wohl zu bedeuten hätten und nach Jennys Erklärung suchten nicht nur alle im Vorüberschwimmen den kurzen Blickkontakt, sondern sie reagierten auch in der gewünschten Weise. Das bekam dann sogar der Trainer mit, der ja ansonsten mit dem Studium des weiteren Trainingsplanes beschäftigt war. Im Nu bat er mich, ein paar Kostproben des Trainings made in germany zu geben, was die Mädchen als willkommene Abwechslung begrüßten.

Als die Schwimmerinnen bereits beim Duschen waren, sprach der Trainer doch das Thema an, welches ich tags zuvor bei Jenny als Märchen abgetan hatte. Er wollte wissen, wie ich die Aktiven dazu bringe, beim Kraulschwimmen den Kopf in der richtigen Position zu halten, denn seine häufig verordneten 20 Extra- Straf-Liegestütz führten meist zu keinem dauerhaften Erfolg.

„Sag ihnen zuerst, warum der Kopf oben bleiben soll. Das sind intelligente Leute; wenn die über die Folgen von schlechtem Stil informiert werden, wirst Du bereits großen Erfolg haben. Und wer weiterhin im Tiefschlaf wegen zu tiefer Kopfhaltung wie ein Fass in der Brandung rollt, darf 200 Yards im Wasserballstil schwimmen; das wirkt meist sehr nachhaltig.“

Zwei Wochen später berichtete Jenny am Telefon stolz über die gute Platzierung, die sie mit ihrem Highshool-Team bei den Minnessota- Schwimmmeisterschaften errungen hatte. Und sie schimpfte über obligatorische, sehr lange Trainingsstrecken im Wasserballstil, obwohl sie doch ihren Kopf immer in der richtigen Höhe hielt.

Uwe Legahn

 

 Letzte Schwimmstunde

 Donnerstag, 18.Dezember 2003. Allerletzte Unterrichtsstunde im Alstertal. Für die Kinder des Anfängerkurses ebenso wie für mich. Und alle Eltern sind mit im Bad, wollen die Erfolge ihrer Sprösslinge am Kursende noch einmal sehen.

Zu Beginn zeige ich den Kindern, die bereits gestern ihr Seepferdchenabzeichen geschafft haben, die Urkunden und Abzeichen. Gemeinsam kommen wir zu dem weisen Entschluss, erst einmal die Eltern mit den Erfolgssymbolen zu beehren, weil man ja im Wasser schlecht darauf aufpassen kann.

Nebenher die besorgte Frage einer Mutter: „Kann es Celine heute noch mal versuchen?! Sie war gestern zum Kindergeburtstag ihrer Freundin eingeladen.“ Die Zusage, dass alle Kinder „heute noch mal dran kommen“, nahm sie erleichtert auf: “ Na, dann ist es gut! Celine ist nämlich unheimlich ehrgeizig und wäre sehr traurig, wenn sie am Ende ohne Abzeichen da stünde!“ Gleichzeitig kam nun erstmalig auch Celines Vater hinzu, den ich zwischendurch mit einem kurzen Kopfnicken grüßte. (Ich war ja schließlich mit den Kindern beschäftigt) Dennoch ertappte ich mich dabei, wie ich nebenher versuchte, den Vater einzuordnen. Ich kannte ihn. Nur wo her? Wasserball?, alter Harburger?, ehemaliger Schüler?, Seminare? Egal, wird dir schon wieder einfallen. Aber doch blöd, wenn das Gedächtnis nachlässt.

Die letzten vier Kinder absolvierten alle nacheinander ihre Aufgaben für das Abzeichen. Also schnell raus aus dem Wasser und die Urkunden ausfüllen. Celine war die letzte in der Reihe. Und als ich ihren Nachnahmen las, wußte ich auch, woher mir ihr Vater bekannt war.

Nach Kindern von Senatoren, Bundesministern, bekannter Wirtschaftsbosse und anderer Promis nun auch die Tochter eines Fußballbundesligatrainers. Aber er ist doch nicht mehr beim HSV?! Man sollte sich doch öfter mal die Sportschau gönnen!

Ganz ehrlich: Jeder gezeigte Vertrauensbeweis aus Kinderaugen, jedes gesprochene Dankeschön von Eltern und Kindern, jedes verschämt überreichte, von Kinderhand gemalte Bild, jedes stolze „davon hüpfen“ eines ehemaligen kleinen Angsthasen ist der Extrabonus zum Lohn unserer alltäglichen Arbeit. Aber ich meine auch, dass es eine Auszeichnung für die „besondere Schublade“ ist, wenn sich ein Topsportprofi am Kursende – fernab aller Kameras und sensationsheischender Journalisten -, einfach nur wie ein ganz normaler, dankbarer und ein wenig stolzer Vater spontan per Handschlag für die nette Betreuung seiner Tochter bedankt und deine Arbeit lobt. Danke Frank Pagelsdorf.

Uwe Legahn

 

Ein etwas anderer Glaube

 Herr Whu war der Sohn chinesischer Einwanderer in die Philippinen. Er war mitte 40 und sicherlich nicht unsportlich. Aber er konnte nicht schwimmen. Als ich ihm in einer der ersten Stunden mein Erstaunen darüber deutlich machte, erzählte er mir bereitwillig die Begründung seines bisherigen Nichtschwimmerdaseins:

Nach seiner Geburt suchten seine Elt~rn nach alter chinesischer Tradition den Wahrsager auf, dessen Rat streng zu befolgen war. Und der Prophet beschied den Eltern, dass der Neugeborene zeitlebens einen großen Bogen um jegliches Wasser zu machen hätte. Furchtbare Schicksalsschläge wurden für die Nichtbeachtung der Weissagungen vorhergesagt. Eltern und Kind hielten sich konsequent an diese grundsätzliche Lebensregel.

Nun war Herr Whu bereits über 20 Jahre aus dem Elternhaus nahe Manila heraus. Er hatte in den USA studiert, war für eine große Firma international tätig, hatte die Welt gesehen.

Aber erst jetzt und immer noch mit einem schlechten Gewissen nicht nur seinen Eltern gegenüber, wagte er es, den Bann zu brechen und ist seither mit seinem Glauben im Konflikt.

Schon lange schwimmt er gut und sicher. Die Freude an der Beherrschung des ehemals feindlichen, nassen Elements überwog. Aber er versäumt es nicht, zuvor jedes Mal seine Ahnen um Vergebung zu bitten.

Uwe Legahn

 

 Der Delphin aus Nantes

 Nehme ich den natürlich gefärbten grauen oder lieber den blau-weißen Delphin? Schnell war die Entscheidung für die kinderfreundlichen knalligen Farben gefallen. Der Aussteller aus Südfrankreich versprach mir, das gewünschte, naturgetreu geformte und 2 Meter große Kunststofftier bis zum Ende des Kongresses hier in Nantes für mich zu reservieren. Ich war dort im Mai 2003, um vor rund 400 Teilnehmem aus ganz Frankreich einen Vortrag über Inhalte der von uns in Hamburg entwickelten AquaPädagogik zu halten.

Nach Kongressende hatte ich also neben meinem Reisegepäck auch noch den großen Delphin zu transportieren, den der Aussteller mit einer durchsichtigen Luftpolsterfolie umwickelt hatte. Der Delphin war dadurch weiterhin in allen Einzelheiten zu erkennen. So war mir bereits auf dem Bahnhof in Nantes und im TCV-Expresszug nach Paris zumindest die Aufmerksamkeit aller Kinder sicher und ich hätte mit vielen Fahrgästen ins Gespräch kommen können, …. wenn ich doch etwas besser französisch sprechen könnte.

In Paris mußte ich vom Bahnhof Montpamass mit der Metro zum Gare du Nord, um von dort weiter im Express nach Brüssel und dann im Nachtzug nach Hamburg zu kommen.

Der Montpamass-Bahnhof ist sehr weitläufig und auch wie viele Flughäfen mit modemen, langen Laufbändem ausgerüstet. Beinahe alle Passanten brachten mir ein freundliches Lächeln entgegen, denn es ist offenbar nicht alltäglich, dass jemand mit einem ausgewachsenen Delphin über der Schulter ausgerechnet auf dem Bahnhof herum läuft. Der Fischmarkt wäre da schon passender. Aus vielen Kinderkehlen tönte ein lautes „Dolphin!, Dolphin!“ und dann wurde an Mama oder Papa zu diesem Tier gezogen.

Besonders lustig war es natürlich, wenn der Delphin auch noch wackeln, schaukeln, hüpfen oder sich drehen und hinter den Kindem her schauen konnte.

In einem der unendlich langen Tunnel war der Delphin dann leider Unfallverursacher: Ein kleiner Junge hatte seine Mutter mit viel Energie auf dem Laufband bis an mich heran gezerrt. Die Mutter machte das Spiel ein wenig mit und zog dann aber im nächsten normalen Tunnel ihren Sohn an mir vorbei. Mama war ziehend und rückwärts blickend so sehr mit dieser nun offenbar lästigen Aufgabe beschäftigt, dass sie den jungen Mann, der uns entgegen kam und gleichfalls nur auf den Delphin fixiert war, nicht rechtzeitig bemerkte. Sie prallten recht heftig mit den Köpfen zusammen.

So war das Tier, das in den vorherigen rund drei Stunden für so viel Freude und Heiterkeit gesorgt hatte, plötzlich zur Ursache für zwei deftige Beulen geworden.

Ab sofort verordnete ich ihm ein striktes Bewegungsverbot und in den beiden nächsten Zügen fristete er ein Schattendasein auf dem Gepäckbord und später unter der untersten Liege.

Aktuell schwebt er im Fenster in Beckedorf und schaut von oben zu, wie die Kinder ganz toll schwimmen.

Uwe Legahn

 

 Bescheidenheit ist eine Zier… oder nur eine Riesendummheit?!

 Wenn es nach denen ginge, die mal versucht haben, mich zu erziehen und auch, wenn ich meine lange gefestigte persönliche Einstellung als Maßstab nehme, Bescheidenheit ist selbstverständlich eine positive Eigenschaft. Aber klar doch!

So war ich bislang selbstverständlich auch im Umgang mit der Presse sowie Institutionen und Behörden immer eher zurückhaltend, wollte mich nicht in den Vordergrund drängen. Es hat ja auch bislang überall funktioniert.

Bis Anfang Mai 07 die lange Vorbereitung auf die Schwimmschul-Jubiläumsveranstaltungen und die Präsentation eines neuen Buchprojektes, die zusätzlich noch mit Kinderweltrekord und Promischwimmen unterstrichen wurden, quasi ohne Beachtung der Presse blieben.

Da telefoniert und schreibt man wochenlang, bekommt großes Interesse vorgegaukelt und diverse mündliche Zusagen, ein Spiegelredakteur will sich gar in der Redaktion für den Erwerb der Exklusivrechte am Buch einsetzen… und dann taucht niemand von der Presse auf.

Nur gut, dass die rund 100 zuschauenden Eltern die Abwesenheit der Presse kaum bemerkten und Radio-Hamburg-Starmoderator John Ment mit viel Witz, flotten Sprüchen und einem guten Draht zu den Kindern den nassen Teil der Veranstaltung souverän meisterte. Er war es auch, der mir nach Pfingsten die Augen öffnete. 0 Rund eine Stunde saßen wir im Sender zusammen, spielten zukünftige Aktionen durch und analysierten ausgiebig die vergangene Pressepleite. Dabei stießen wir schließlich auf die Wurzel des Übels:

In allen Ankündigungen hatte ich meinem Namen zwar artig den Hinweis auf Sportpädagoge und Autor hinzugefügt, aber alles andere bescheiden unter den Tisch fallen lassen. Dazu John Ment im O-Ton: „Glauben Sie, dass ich auf Grund meines Namens außerhalb des Sendegebietes auch nur das Geringste erreichen würde? Überhaupt nicht! Da muss ich schon den Radiomoderator raushängen lassen. Aber dann funktioniert beinahe alles. So tickt unsere Welt! Und daran werden wir beide auch nichts ändern!“ Ein paar Tage später der erste Beweis des Lernerfolgs!

In den Nachrichten hörte ich zufällig vom Kindersicherheitstag und rief (nun als BvAP Präsident und Referent bei internationalen Fachkongressen) bei den Veranstaltern an.

Inhaltlich ging es wieder nur um das bekannte Thema Anfangsschwimmen, allerdings ohne Weltrekord und Promischwimmen. Dennoch wurde ich spontan zur Auftaktveranstaltung ins Bundesgesundheitsministerium nach Berlin eingeladen und fand dort bei Ministerial-, Lobby und Presseleuten eine gänzlich andere Beachtung.

Scheinbar machen wirklich nicht Ideen oder Inhalte einen Menschen aus. Nein, erst Kleider, Titel oder Ämter machen Leute.

Wenn ich also das Anfangsschwimmen weiter umkrempeln will, muss ich wohl oder übel meine Zurückhaltung über Bord werfen, muss sie durch kernige Schlagzeilen, gewagte Vergleiche und veranschaulichende Übertreibungen ersetzen.

Aber sagt mir bitte rechtzeitig Bescheid, wenn ich hier Gefahr laufe, zu übertreiben.

Uwe Legahn

 

Der größte Erfolg

Am nächsten Morgen startete die für das kleine Dorf einmalige Hilfsaktion. Im Dauerregen wurden über 200 große Kleidersäcke von einer gemischt polnisch-deutschen Kette in die frisch renovierte Wohnung des neuen Gemeindevorstehers getragen und deckenhoch gestapelt. Er musste nun bis zur Verteilung durch die örtliche Solidarnosc-Gruppe auf seine schicke Wohnung warten.

Anschließend übernahm die Solidarnocz auf dem Dorfplatz die Verteilung der in Harburg vom Erlös der Spendengelder gepackten weit über 300 Familien-Lebensmittelpakete. Wir hielten uns zurück. Die Solidarnosz kannte ja ihre Mitbürger und sorgte sicherlich für eine gerechte und geregelte Vergabe.

Währenddessen wurde ich auf drei alte Männer aufmerksam, die in schmutziger Kleidung und Gummistiefeln unrasiert am Rande des Platzes standen und sich nicht in die Schlange einreihten. Zuhause machte man tunlichst einen Bogen um derartige „Penner“, aber hier hatte das Aussehen ja vielleicht eine andere Bedeutung. Skeptisch, ja böse schauten sie dem Treiben zu und zumindest einer zeigte durch seine Reaktionen auf unsere Unterhaltung, dass er Deutsch verstand. Mein Ehrgeiz war also geweckt.

Ich ging zu den Dreien, deren ablehnende Haltung sich mit jedem Schritt verstärkte und machte ihnen deutlich, dass auch für sie ein Paket auf dem Wagen sei. „Von Deutschen nehmen wir nichts!“ war die eindeutige, klare Antwort auf Deutsch.

Heute weiß ich nicht mehr genau, wie lange es dauerte, bis auch sie jeder mit einem Paket nach Hause gingen. Erst als ich ihnen meinen Pass mit meinem Nachkriegsgeburtsdatum zeigte und langwierig deutlich machte, dass mich ihre Lebensgeschichte auch zwecks Weitergabe an meine Schüler brennend interessierte, wurden sie zugänglicher. Alle drei waren während der Nazizeit als Zwangsarbeiter von den Deutschen verschleppt worden. Der eine nach Norwegen zum Bunkerbau, die beiden anderen zu deutschen Bauern nach Niedersachsen und Schleswig-Holstein. In Büchern und Zeitschriften oder auch im Fernsehen über derartige Schicksale zu erfahren, ist eine Sache. Einem alten Mann direkt gegenüber zu stehen, der mit Tränen in den Augen erzählt, dass er rund drei Jahre in einer Box neben den Schweinen hauste; dass nach der Bauernfamilie zunächst der Hofhund und dann die Schweine essen bekamen und er oft genug nichts zu beißen hatte; das ist eine vollkommen andere Erfahrung. Das geht so tief unter die Haut, dass man sich unwillkürlich schämt, einen deutschen Pass in der Tasche zu haben.

Übrigens fragten mich Mitte der neunziger Jahre junge Redakteure einer Schülerzeitung im Verlauf eines Interviews zu meinen früheren Leistungssportzeiten nach meinem größten Erfolg. Sie waren sehr perplex, als ich ihnen spontan antwortete, dass das drei Händedrücke waren. Nicht von Bürgermeistern, Sportfunktionären oder dem französischen Admiral, sondern der Handschlag dieser drei abgerissenen, alten Landarbeiter in ihrer dreckigen Arbeitskleidung, ihren schweren Gummistiefeln und den Armeemützen auf den ergrauten Schädeln, zusammen weniger Zähne im Mund als ein zweijähriges Kind. Der Handschlag dieser Drei zum Abschied, bevor sie zum Wagen gingen und ihr Paket entgegen nahmen, das war mein bislang größter Erfolg.

Auszug aus dem Kapitel über den ersten Hilfstransport 1981 nach Polen im Buch „Rotfuchs kommt nach Krasnopol“ von Uwe Legahn

 

 

Am Südpol zu Hause

Zwei Mal kam der Brief mit den Buchungsunterlagen an Familie Cardenas als unzustellbar zurück. Verständigungsprobleme; bei uns spricht nicht jeder spanisch und Herr Cardenas hatte noch ein paar Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache. Im dritten Anlauf kam der Brief an und wenige Tage später waren die drei Cardenas-Brüder beim Probeschwimmen.

Ricardo, des älteste 10 Jahre, der für seine Brüder Benjamin, beinahe 6 Jahre und Gustavo, nahezu 4 Jahre übersetzte so gut er konnte, denn auch er verstand noch längst nicht alles.

Aber besonders Gustavo, ein kleiner stämmiger Kerl mit einer riesigen, schwarzen Lockenpracht verstand offenbar trotz großer Konzentration kein Wort von mir.

Auch später im Kurs sah er mich nur immer aus seinen dunklen großen Augen an, wandte sich dann Hilfe suchend an Ricardo oder blieb clever bis zuletzt vor dem Wasser stehen, um sich die Aufgabe bei den anderen Kindern abzuschauen. Er zeigte das typische Verhalten der Kinder, die erstmalig mit dem Wasser in Kontakt kommen: Er ging die Sache vorsichtig, gelegentlich auch skeptisch, aber nicht ängstlich, eher neugierig und wenn er sich überzeugt hatte, auch mutig an.

In der Gruppe war Gustavo der Jüngste, um den sich Ricardo mit großer Ausdauer bemühte.

Es war immer wieder faszinierend, diese geduldige, selbstverständliche Hilfsbereitschaft unter den Brüdern zu erleben. Ebenso rührend war es, die Freude der Mutter – und ein Mal pro Woche beider Eltern – aus den Augenwinkeln zu verfolgen, wenn sie voller Stolz ihren Jungen mit anerkennenden Gesten weiter Mut machten.

Bei allen zuschauenden Eltern hinter der Scheibe sorgte Gustavo ständig für Heiterkeit, weil er nach jedem noch so geringen „Untertauchen“ oder kleinstem Sprung auch den letzten Wassertropfen wie ein kleiner Dackel mit heftigem und andauerndem Kopfschütteln aus seiner Lockenpracht beförderte. Er ist einer, den alle sofort in ihr Herz schließen, einer zum „Klauen“, Am Ende des Kurses schafften die beiden Großen auf Anhieb ihr Seepferdchen Abzeichen, Gustavo schwamm die ersten Meter, sprang allein und tauchte, aber es reichte noch nicht ganz. Aber das Kopfschütteln war vergessen, denn auch er hatte gelernt, dass man nur mit nassen Haaren, die man ja „vorzeigen und anfühlen“ lassen musste, dünnere Schwimmflügel bekam.

Nach dem Kompaktkurs wechselten die Brüder gemeinsam in die Aufbaustunden am Montag zu Bärbel. Ricardo und Benjamin sind inzwischen stolze Besitzer des Bronzeabzeichens und Gustavo hat kurz vor Weihnachten das Seepferdchen geschafft. Am liebsten schwimmt er gedankenverloren in sich gekehrt auf dem Rücken und ist jedes mal erstaunt, wenn er schon wieder am Rand ist. Nichts kann ihn aus der Ruhe bringen. Und Ricardo, Bärbel und alle anderen können noch so sehr zur Eile mahnen, er wird nicht aus dem Wasser kommen, bevor er noch einmal untergetaucht ist.

In der Zwischenzeit hat auch Frau Cardenas bei mir das Schwimmen gelernt. Zunächst wollte ich nicht recht glauben, warum eine so sportliche Spanierin nicht Schwimmen kann.

Der Grund war aber sehr einleuchtend:

Familie Cardenas stammt nicht, wie vermutet, aus dem warmen Spanien, sondern aus Chile.

Und dort leben sie in der südlichsten Stadt der Welt, in Punta Arenas, gegenüber Feuerland und damit fast schon in direkter Nachbarschaft zur Antarktis, wo Herr Cardenas an der Universität als Forscher im Bereich Elektrotechnik tätig ist und nun für vier Jahre als Doktorand an der TU Harburg arbeitet.

In Punta Arenas gibt es kein öffentliches Schwimmbad und draußen sollte man das Schwimmen lieber nicht versuchen.

Schön, dass man in unserem Beruf derart interessante Menschen kennen lernen kann.

Danke, Familie Cardenas.

Uwe Legahn